Ob Details und Tatsachen nun exakt historisch belegt sind (was sie tatsächlich sind) oder nicht – daran verschwendet man beim Lesen dieser Biografie keinen Gedanken. Zu unmittelbar geschrieben steht da alles, was Szlamek Pivnik vor allen in seinen Teenagerjahren erlebt hat und erleiden musste.
Sein Ghostwriter trifft die richtigen Zwischentöne, hat viel Zeit mit dem heute über 90-Jährigen verbracht. Trotz der so guten medizinischen Versorgung in Europa ist es heutzutage besonders, so alt zu werden. Dass Pivnik es wurde ist eigentlich unfassbar.
Denn noch bevor er seine Ausbildung abschließen, eine Arbeit suchen, eine Familie gründen und in Ruhe alt werden konnte, wurden seine Heimatstadt besetzt und sein Weltbild zerstört.
Niemand außer anderen Zeitzeugen kann auch nur annähernd ermessen, welche Abgründe menschlicher Grausamkeiten dieser polnische Jude in den für einen Menschen mitunter prägendsten Jahren seines Lebens sah und am eigenen Körper spürte. Getrennt von seiner Familie, überlebte Pivnik jahrelange Prügel, psychische wie physische Folter und lernte, was er tun musste um buchstäblich seine Haut zu retten. Füße voller blutiger Blasen waren beim Anblick von einem Stück Brot schon vergessen. Dass ein paar Schritte neben einem ein anderer eine Kugel in den Kopf bekommt, alltäglich. Doch es war nicht nur das Gelernte und sein Gespür für gefährliche Situationen, die der Teenager sich zunutze machte. Auf unbestechliche Weise erzählt der heute in London lebende auch von den Momenten, als pures Glück ihm sein Leben rettete.
Pivnik verhehlt nicht, dass er immer noch Albträume hat. Sehr gut trifft es eine Bemerkung von Ghostwriter Mei Trow am Ende in einer Art Nachwort: „Wenn Sam sagt: ‚Ich fühlte mich benommen‘ oder ‚Die Angst kam zurück‘, dann können Außenstehende (…) nur ansatzweise verstehen was er meint.“ Das stimmt. Und dennoch ist es wichtig, dass wir solche wahren Geschichten in Ehren halten, zwischen den Generationen weitergeben und sie genauso wie andere historische Tatsachenberichte in die Geschichte Europas und der Welt aufnehmen.
In dieser Hinsicht war auch Pivnik nicht untätig. Abbildungen im Buch zeigen Ausschnitte aus den Reisen, die er mit eine Gruppe Studenten und einmal mit einem Fernsehteam unternahm. Er kehrte nach Polen zurück, nach Będzin, seinen Geburtsort zurück, in die Lager und an andere Gedenkstätten und Orte seines persönlichen Todesmarsches. Doch nicht nur beklemmende Momente sind in diesem Buch festgehalten. Nach der Besetzung Nazi-Deutschlands durch die Alliierten ist Platz für andere Emotionen. Es sind die kleinen Dinge, die bei den Befreiten große Freude hervorrufen: Kleidungsstücke, die nicht gestreift sind, am Morgen ohne Zählappell aufzuwachen oder sich sattessen zu können.
Zuletzt aktualisiert am 12.04.2018.
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